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Montag, 12. Juni 2023

Unerwartetes am "Kirgisischen Meer"

Der See Yssykul ist riesig, angeblich 11x so groß wie der Bodensee, auf schon 1600 m Höhe und eingerahmt von den teils noch sehr verschneiten Gipfeln des Thien Shan Gebirges, . Ein tolles Panorama - diese riesige Wasserfläche und dann die Berge dahinter, nur leider meistens im Dunst.

Der allererste Ort, an dem ich hielt, war eigentlich kein besonderes Highlight (im Gegenteil, die Reiseführer raten eigentlich alle davon ab, dort überhaupt nur anzuhalten), ich hatte einfach keine Lust noch länger zu fahren. Erwähnenswert ist er nur seiner Skurrilität wegen, Lenin-Bilder, rote Sterne, verlassene Fabriken, verrammelte Werft, kleine schiefe Häuschen, geschlossene Läden, alles ziemlich trostlos und trotzdem auch interessant … als hätte die hiesige „Wende“ gerade erst stattgefunden. Für einen Tag dort rumzuschnüffeln war dann doch spannend. Aber auch ausreichend.





Weiter ging es zum angeblichen „Mallorca“ von Kirgistan, auch da war alles irgendwie so, als hätten die besten Zeiten vor vielen Jahren stattgefunden. Gäste kommen ja vielleicht noch, aber noch nicht jetzt, es war nix los. Dafür war das Gästehaus sehr schnuckelig, ich mag ja überall diese kleinen alten Häuschen (genauer gesagt – ich werde da sehr neidisch !) und ein sehr schöner Garten dazu, da blieb ich sogar einen extra Tag und habe einfach mal wieder so ganz in Ruhe ein ganzes Buch am Stück gelesen. Herrlich !




Von dort wieder ein paar km weiter am See entlang (der ist irgendwas um die 200 km lang) zum Dorf Grigorievka. Und dort traf ich auf Maut und Tjeerd aus Holland. Sie waren 2019 auf Hochzeitsreise in Kirgistan und jetzt leben sie hier und produzieren Gouda ! Wie cool … Aber ohne eigene Tiere, sie kaufen die Milch und machen „nur“ Käse. In den Käse“keller“ durfte ich auch mal schauen und dann schnatterten wir die halbe Nacht.

Und so erfuhr ich das eine oder andere, was den Verlauf der nächsten Tage beeinflussen sollte. U.a. erwähnte ich, dass ich wandern gehen möchte – durch die Grigorievka-Schlucht. „Ach da oben, da ist doch auch der Jürgen. 73 Jahre alt. Ein deutscher Rentner. Im Jurtencamp.“ Aha. Wo denn ? Na dann wandere ich doch genau da hin. Gesagt, getan und schwupps war ich 3 Tage in den Bergen. Es war dann weiter als ich ursprünglich geplant hatte und ich war sehr knülle als ich endlich ankam, das Wetter war leider auch eher lala beim Aufstieg (inkl. Regen am höchsten Punkt), aber oben dann war es klasse. Unterwegs wurde ich ein bisschen verwundert beäugt von den Kirgisen. Also wenn man hier von A nach B will und das nicht mit dem Auto macht, dann sitzt man natürlich auf einem Pferd und LÄUFT nicht ! An Jurten war (wie an Pferden) unterwegs kein Mangel. Aber nicht von Nomaden, sondern einfach zum essen und/ oder übernachten. Und der Jürgen betreut ein kleines, sehr idyllisches Jurtenlager mit dem schönen Namen „Besh Karagai“, zwischen leuchtenden Birken und mit großartiger Aussicht. Er ist als Radtourist (mit über 60 auf den Pamir-Highway und so was !!!) mal hier kleben geblieben und fährt nur noch im Winter für 2-3 Monate nach Deutschland. Und es waren gerade noch 4 Leute da, zwei Paare, jeweils auch mit dem Fahrrad in dieser Weltgegend unterwegs. So gab es Lagerfeuer, Wodka und verdammt viel zu erzählen und auszutauschen. Für einen Tag blieb ich mit da oben und half ein bisschen mit, die letzten Vorbereitungen für die Saison. Und dann bei brütender Hitze wieder runter und noch mal zu Maut und Tjeerd, die Hälfte meines Gepäcks hatte ich dort gelassen. 


so auf 2000, 2500 m hat alles eher Schweiz-Feeling :-)


keine Reise durch Kirgistan ohne mindestens ein Buch vom "Poet der Steppe", Tschingis Aitmatow, der wohl bekannteste Autor des Landes


... und wie in der Schweiz hütet man im Sommer hier oben sein Vieh

Besh Karagai

hunderte Pferde überall und die werden auch gemolken, aus der Milch wird dann Kumis gemacht,irgendein vergorenes Getränk, gab es überall am Wegesrand, aber ich habe mich noch nicht getraut.... alle, die es probiert haben, haben von Durchfall erzählt... angeblich ist es sehr gesund... einmal wage ich mich schon irgendwo




woanders heizt die Jugend auf Mopeds rum - hier auf´m Pferd...


Am ersten Abend war ebenfalls  Gesprächsthema, dass es hier schwierig ist, Bauernhöfe zum mal mithelfen zu finden. „Ach, da fragen wir doch mal Ular und seine Familie.“ . Danach schrieb ich diesem Ular selbst und ruckzuck hatte ich einen Hof gefunden… noch mal ein Stück weiter am See entlang. Sie haben soetwas noch nie gemacht, aber finden es interessant und würden dieses Experiment mal wagen. Klasse. Gleich werde ich abgeholt … ich bin aufgeregt, neugierig und vofreudig !

auf dem sonntäglichen Viehmarkt von Karakol, einer der größten Zentralasiens

früh um 7, der Markt öffnet um 5 und mittag ist alles vorbei


 
kirgisische Musik abends im Gästehaus in Karakol

und die muss ich einfach auch mal hier zeigen - kirgisische Filzteppiche, Shyrdak genannt; die hatten es mir schon in Rot Front angetan, das erste was mir aus Filz sehr, sehr gefällt ! Passt natürlich nicht in den Rucksack...

Donnerstag, 1. Juni 2023

Rot-Front – „Das letzte deutsche Dorf in Kirgistan“


 
 

 Ich weiß nicht mehr, was ich vor zwei Wochen im Internet suchte. Jedenfalls stolperte ich plötzlich über einen Bericht über das „letzte deutsche Dorf“ in Kirgistan. Hä ? Was ? Die Mennoniten mal wieder (siehe Südamerika, da traf ich die auch schon). Und ein paar verschlug es auch hierher und sie gründeten einige deutsche Dörfer hier im Land. Die meisten zogen nach dem Zerfall der Sowjetunion hier weg und nach Deutschland, viele sind wahrscheinlich einfach im Laufe der Jahre durch Hochzeiten, Umzüge etc. „verschwunden“.  Jedenfalls wurde 1927 hier östlich von Bischkek das Dorf Bergtal begründet und bewirtschaftet. In einer fruchtbaren Ebene, mit tollem Blick auf majestätische Berge, von denen die höchsten Gipfel wohl an die 4000 m sind. 1931 wurde es in Rot-Front umbenannt. Und hier leben nach wie vor eine Handvoll deutschstämmiger Mennoniten. Und der ehemalige Deutschlehrer Wilhelm. Er kam vor 14 Jahren aus Dtl. hier ins Dorf und unterrichtete eben Deutsch und verliebt sich in das Land und lebt nun, bereits pensioniert, noch immer hier. Und begründete ein kleines Museum über die Geschichte der Deutschen in Kirgistan. All das las ich schon im Internet – und spätestens nach dem 3. Artikel stand wahrscheinlich fest, dass ich das Dorf sehen möchte und das Museum. Und nun bin ich hier. Und verbrachte gestern den halben Tag bei Wilhelm, beguckte das Museum (was auch mal gleich sein Privathaus mit umfasst), wir quasselten sowohl über die Deutschen hier, die Mennoniten allgemein, über sein Leben hier als Lehrer,  und über Reisen (vor ca. 25 Jahren radelte er mit einem Freund bis Sibirien…), Kirgistan und was weiß ich noch alles. Nebenbei servierte er Kaffee und Kuchen und ich knuddelte mit seiner Hündin (schwer verletzt, weil letzte Woche angefahren). Ein prima Nachmittag !   




 Am Vormittag stiefelte ich schon mal ein Stück durch die Berge, traf wie überall auf Pferde, Schafe, Kühe und Esel. Und auch heute gab es einen Ausflug hier in der Gegend. Je nach dem wie morgen das Wetter ist, bleib ich wohl noch einen Tag. Sehr gemütlich hier im kleinen Dorf. Ich zelte beim Gästehaus, weil selbiges voll belegt ist. Es wird von Kanadiern betrieben und gerade ist ein kanadische Reisegruppe da, die hier auch Volunteersarbeit leisten.  Das Gästehaus selbst ist ein Hilfsprojekt, hat auch eine angeschlossene Farm, und hier soll erwachsen werdenden Waisenkindern zu einem guten Start ins Leben und möglichst zu einer Ausbildung verholfen werden. Der kirgisische Staat hilft wohl bis zum 18. Geburtstag und wie die Jungs und Mädels dann im Leben Fuss fassen, interessiert keinen mehr und die meisten landen auf der Straße… und so haben John und Julie beschlossen zu helfen, wie auch einige kirchliche Institutionen im Land … also alles in allem ist das alles sehr interessant hier in dem kleinen Dörfchen Rot-Front !

der deutsche Friedhof im Dorf


Abendstimmung
 








Und was mir die Tage mal so auffiel, das „Orient-Gefühl“ aus Usbekistan ist völlig verschwunden – hier fühle ich mich oft wie auf Zeitreise, es ist einfach „Osten“ J. Und ich bin sehr gespannt, was noch so passiert hier in den nächste Wochen …

 

PS: Und wer jetzt neugierig ist und noch ein bisschen mehr wissen möchte, der kann mal bei Arte schauen:

https://www.arte.tv/sites/story/reportage/rotfront-das-letzte-deutsche-dorf-in-zentralasien/?lang=de